Der fröhliche Dilettant

Gesellschaft

Mensch und Technik

Innovation für die Pflege

Technologie für Menschen, von Menschen, mit Menschen

Wir reden statt zu handeln

Wir setzen auf falsche Pferde

Wir sehen das Gute in der Nähe nicht

Juni 2025.– Irgendwie wabert da dieses Unbehagen. Sprechen und Handeln stimmen häufig nicht überein. Wir sprechen beispielsweise von den aktuellen und kommenden Herausforderungen, aber deklamieren zumeist nur die Probleme und den künftigen Notstand. Für jeden Lösungsansatz gibt es zumeist mindestens drei Argumente, warum das so nicht gehen kann.

Waren wir nicht einmal das Land, das Vieles zum Gehen gebracht hat? Waren wir nicht einmal kreativ auch ohne Milliarden? Gingen von deutschen Erfindern, Hochschulen und Unternehmen nicht spannende und erfolgreiche Impulse in die Welt?

Und ja – wenn es dann dem einen oder anderen Verantwortlichen zu viel wird mit der Jammerei, dann wird zumeist nach Budgets gerufen. Ohne Budget geht gar nichts. Da versiegen die Ideen, noch bevor sie zu sprudeln begannen. Dann kommt Budget, aber es landet nicht in der Innovation oder Kreativität, sondern in der Verwaltung – gerne im Verhältnis 70:30, wobei 30 für die Ideen und 70 für die Verwaltung steht. Sorgt das für Lust aufs Machen, Gestalten, für Mut zum Risiko?

Nehmen wir doch einmal als Beispiel das große Gebiet der Pflege. Alte und auch jüngere hilfsbedürftige Menschen haben ein Recht auf ein selbstbestimmtes und würdiges Leben. So lauten die entsprechenden Aussagen in flammigen Reden von Politik und Kranken- und Pflegekassen. Doch dann fehlt Geld für Einrichtungen, Personal, behindertengerechte Infrastruktur, sinnvolle Hilfsmittel etc.

Dann geht das Pflegestufen-Roulette los: Zu Hause bei der Familie, mit oder ohne Pflegedienst-Unterstützung? Allein in der eigenen Wohnung mit ambulanter Betreuung? In einem Pflegeheim? Alles wichtige Fragen, die seriös geklärt werden müssen und hinter denen immer keine Zahl, sondern ein Mensch mit seinen Bedürfnissen steht.

Eines der großen Bedürfnisse ist, sofern die geistigen Fähigkeiten noch einigermaßen gegeben sind (und das ist selbst bei leichter Demenz noch der Fall), auch im Alter oder bei Behinderung selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben zu können. Dies haben mehrere repräsentative Untersuchungen bei Menschen jeden Alters ergeben. Wie lässt sich das lösen, falls beispielsweise der Pflegegrad keine angemessene Betreuung ermöglicht?

Hier war ein IT-technisch versiertes Ehepaar in Dortmund kreativ und hat mit seinem Team nach vielen Gesprächen mit Betroffenen seit 2016 eine Lösung entwickelt. Ihr Intelligent-Care-System „Vivi“ besteht aus einem Sprachassistenten sowie Sensoren und lässt sich per Sprache (wichtig bei Sehschwäche!), aber auch per Touchscreen bedienen. Es sorgt für regelmäßige Medikamenteneinnahme, erinnert an Termine oder auch Flüssigkeitszufuhr, sichert die Kommunikation mit der Außenwelt (Audio- und Video) und reduziert damit Einsamkeit – aktiv und reaktiv.

Aktiv, wenn die Menschen mit der Familie, Freunden oder Ärzten etc. in Kontakt treten wollen. Reaktiv, wenn es zu Notfällen kommt und sie nicht mehr in der Lage sind, selbst Hilfe herbeizurufen. Dann löst Vivi den passenden Alarm bei Ärzten oder Familienmitgliedern oder auch dem Pflegedienst aus.

Dafür sorgen die radarbasierten Sturzmelder in der Wohnung, die registrieren, wenn ein Mensch längere Zeit reglos auf dem Boden liegt oder Fenster und Türen nicht wetter- und zeitgerecht geschlossen sind. Datenschutz ist nach DSGVO gesichert, denn die hilfreiche Überwachung findet nicht per Kamera statt, sondern über die intelligente Architektur aus Sensoren und Assistenzsystem.

Ist das nicht eine großartige Idee? Menschen können wohnen, wo sie am liebsten und schon immer gewohnt haben. Familienmitglieder und Pflegedienste sind entlastet, können aber sicher sein, dass im Fall der Fälle umgehend ein Alarm kommt. Und die älteren und pflegebedürftigen Menschen haben kein schlechtes Gewissen, weil sie ihren Angehörigen „unnötig zur Last fallen“, so ein häufiges gehörtes Zitat bei Betroffenen.

Aber so einfach ist das mit den Lösungen in Deutschland nicht. Erst muss so ein System mal technisch zugelassen werden. Ok. Dann müssen es die Kassen in ihr Leistungs- und Produktverzeichnis aufnehmen. Ok. Dann muss der Einsatz in jedem Einzelfall geprüft und genehmigt werden. Na ja, wieder mal unnötige Bürokratie.

Dann gibt es Misstrauen bezüglich des Datenschutzes, der von diesem deutschen, europäischen System in höchstem Maße sichergestellt werden muss – während gleichzeitig Lösungen diskutiert und ausprobiert werden, bei denen die Daten irgendwo auf Servern in der großen weiten Welt landen. Dann kommen Sprüche wie „Meine Oma soll nicht von einem Roboter-System betreut werden“, obwohl es a) kein Roboter ist, b) das System Betreuung regelt, aber nicht betreut, c) die Alternative häufig ist, dass niemand aufpasst und betreut.

Schlussendlich müssen sich die Vivi-Erfinder auch noch mit den laienhaften und unpassenden Vergleichen – „Das ist doch auch nur eine Art Notruf-Knopf“ oder „Kann das die Alexa nicht machen“ – auseinandersetzen, der ungefähr so stimmig ist, wie einen Taschenrechner mit einem Smartphone mit Smart-Home Kapazitäten gleich zu setzen.

Und das Berechnen von Vorteilen für die Menschen, aber auch gleichzeitig ökonomischen Vorteilen fällt offenkundig schwer. Ein solches System bietet nicht nur Entlastung im Betreuungsaufwand, sondern auch bei den laufenden Kosten – für Menschen, Kassen, Kommunen. Gleichzeitig erhöht es den Lebenskomfort für Menschen in der Betreuungssituation. Kurzum – eine sinnvolle Investition in Lebensqualität, die auch noch wirtschaftlich ist.

Wo führt das Ganze aber nun hin? Möglicherweise in eine neue „MP3-Situation“, heißt: In Deutschland wird der Musikplayer erfunden, aber von Amerika kommend zum weltweiten Erfolg geführt. Deutsches Know-how und deutscher Ingenieursgeist ziehen mal wieder den Kürzeren. Muss das auch bei Vivi so sein?

Es zieht sich wie ein roter Faden durch die letzten Jahrzehnte. Das Gute, das so nah liegt, wird nicht oder zu spät wahrgenommen. Politik, Kassen und Medien setzen sich nicht im Detail mit Lösungen aus dem eigenen Land auseinander, sondern warten ergeben, bis „Big Tech“ aus USA etwas „Spektakuläres“ anbietet: „XYZ-Care“. Und wenn das dann zu Beginn auch noch billig ist (später werden die Preise dann angezogen), wird sicher auch in Sachen Datenschutz- und sicherheit eine großzügige Interpretation gefunden.

Wollen wir auch diesen Markt wieder kampflos abgeben? Wollen wir in jedem Lebens- und Wirtschaftssektor mit Vorsatz auf die ersten Plätze verzichten? Wie gesagt – nur ein Beispiel von vielen. Nur mit Geld ist es hier übrigens nicht getan. Hier braucht es Verständnis, Einfühlungsvermögen, Detailwissen, weniger Bürokratie und schlussendlich nicht viel Geld, sondern intelligent investiertes Geld.

Thomas Lünendonk